Seit Februar arbeite ich an meinem Roman kein Strindberg nie.
Ursprünglich als Notizen zu meinen ready mades und meiner Serie in Schwarzweiß gedacht,
hat sich das Ganze völlig verselbstständigt.
Hier ein Auszug aus den ersten Seiten.
Bettina
Brüggemann
Kein
Strindberg, nie
Strindberg hätte Apotheker sein können. So von seinem Wesen. Stattdessen bin ich es. Aber ich werde nicht so wie er!
Ich kann es verstehen, aber keine Chance.
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Natürlich alles wahnsinnig aufregend. Dazu noch eine neue Gesundheitsreform noch skurriler als die letzte. Da kann man schon ins Grübeln kommen. Das sind schon Momente mit einem gewissen Gefährdungspotential.Da muß man ganz klar etwas entgegensetzen.
Überlege mir, ob ich etwas
pflanze oder Kunst mache. Entscheide mich für beides.
Prachtbohnen sollen ganz
schön hoch klettern können. Die pflanz ich an den Birnbaum. Bohnen, die neben
Birnen hängen. Bin berauscht von dem Bild.
Meine Galeristin hat heute
mein Leben verändert. Nach ihrem Anruf habe ich sofort den Polen abbestellt.
Hier wird nicht mehr entrümpelt, kein Sperrmüll mehr abgeholt. Das war ja mal
wieder voll pietätslos gegenüber 100 Jahren Geschichte.
In jedem Gerümpelhaufen
lauert die Kunst.
Meditier vor einem
Nachttischchen.
Eindeutig ein ready made.
Titel: Denken ist keine
Geisteskrankheit.
Völlig perfekt, so wie es
ist. Schloß ausgerissen, zerkratzt, Glasscheibe mit Deckchen drunter, verstaubt.
Vom bloßen Anschauen Volldepression.
Fühle wie das
Nachttischlein eine Träne zerdrückt bei meinen
harten Worten. Armes Ding. Kann ja nichts dafür.
Stellt sich natürlich die
Frage, ob man den Einfluß von Möbeln auf Familiendramen und Selbstmorde genug Raum
geboten hat.
Denke an Strindbergs
unglückliche Ehen. Vielleicht waren es ja nicht die falschen Frauen, sondern
die falschen Möbel.
Bilder ändern natürlich
alles. Dann sieht man die Möbel nicht mehr.
Plötzlich weiß ich. Die
Bohne und die Birne, sie werden sich lieben. Man muß ihnen nur eine Plattform
bieten. Diese Sentimentalität, das bin ich auch.
Räume heute in der
Speisekammer den Mäusedreck weg, den ein große Hausmausfamilie dort
hinterlassen hat.
Hausmaus, lateinisch, Mus
musculae. Altweltmäuse. Kulturfolger. Vom Aussterben bedroht. Kein Wunder!
Singe laut Grönemeyer mit:
„Liebe ist leicht, doch heimlich ist es
einfach unerreicht, kein Feuer keine Kohle kann brennen so heiß.“
Weiß momentan nicht genau
auf was sich das für mich bezieht. Für die Kunst gilt das natürlich immer.
Habe gerade einen
Kaffeekannenwärmer gefunden. Er hatte sich ganz in der hintersten Ecke
versteckt. Ha! Keine Angst! Ich werde dich nicht wegwerfen.
Ich halte ihn bedächtig in
den Händen und betrachte ihn. Innen ist alles voller Brandspuren. Unglaublich,
wie haben die das nur geschafft? Das wird man nicht sehen. Ich finde es gut,
daß man das nicht sieht.
Ich suche weiter. Bloß
keinen Millimeter wenden.
Finde noch einen alten
Kochtopf. Ästhetisch im Nichts anzusetzen.
Ich werde ihn mit Kapseln
füllen. Schwarze Kapseln, weiße Kapseln, graue Kapseln, Alle selbst gefüllt.
Pillen Tabletten Zäpfchen, Spritzen als Würste. Und dann einen Kochlöffel rein.
Schreibe dazu: Bitte
umrühren.
Das ist so sinnlos!
So etwas ist dann immer
fast schon Poesie.
Denke mir folgendes. Es
ist ja nicht klar, was richtiger ist, Pessimismus oder Optimismus. Strindberg
würde natürlich sagen, Pessimismus ist vernünftiger. Aber es ist ja nicht mal
klar, ob vernünftig sein vernünftig ist
Muß bei dem Ausspruch des
Marquis de Posa, Sire, gebt Gedankenfreiheit, lachen. Mir würde es schon
reichen, wenn man überhaupt denken würde.
Ein harmonischer Tag in
der Apotheke. Hätte nie gedacht, daß sich Apotheker und Künstler miteinander
verbinden ließen. Eher gehadert und gelitten wie ein Hund. Und jetzt ist alles
so harmonisch!
Ich verkaufe eine Packung
gegen Angst, Erregungszustände, Schlaflosigkeit, Depression, Trübsinn, dunkle
Gedanken, eine nähe ich auf den Kaffeekannenwärmer. Ich bestelle jetzt auch
noch eine Packung Viagra. Sozusagen noch einen Schuß Lebensfreude auf den
Kannenwärmer. Aufwendiger schon das Aufnähen der silbernen Pailletten auf den
Wärmer. Aber es soll ja auch ein bißchen edel aussehen…
Gerade ist der Deckel der
Kaffeekanne kaputt gegangen. Ich klebe ihn. Man sieht fast nichts… Absolut
perfekt.
„Wir schlagen wie wild mit den Flügeln, daß uns der
Absturz verschont. Können ohne Halt nicht leben, sind Regeln gewohnt. können
uns drehen, können uns winden, es herrscht das Chaos
und Ruhe gibt's nach dem Tod
Ruhe gibt's genug nach dem Tod.
Sonntag.
Stehe hier in meiner
versifften Jugendstilküche und singe laut Grönemeyer. „ Es ist so gut ohne Dich. Keiner,
der seine Launen rücksichtlos auslebt. Der hofft, daß einem auch das Wasser zum
Hals steht. Der einen für seine eigene Kälte schuldig spricht. Es geht so gut
ohne dich. Es ist einfach herrlich ganz ohne dich.“
Werde immer euphorischer.
Male dabei Erbsen weiß an
für meinen Erbsenhorizont. Uralter
Nachttopf. Altes Püppchen. Und schon wieder ist es Kunst. Wie konnte ich so
etwas nur wegwerfen wollen?! Alles
Familienbesitz. Fühle eine völlig neue Rückgebundenheit. Plötzlich geht alles
so leicht.
Immer nur Grönemeyer.
Vielleicht sollte ich mal wieder Wagner hören?
Professionalität.
Immer. Ganz wichtig, sonst wird man
nicht ernst genommen. Müßte so gesehen dringend meine Homepage überarbeiten,
die ist nicht professionell. Immer und überall professionell. Aber, was
bedeutet das überhaupt. Außer, daß alles gleich aussieht.
Üblicher Konflikt zwischen
Verstand und Gefühl.
Das Gefühl siegt. Ich
überarbeite gar nichts. Mach ich einfach nicht.
Vielleicht sollte ich
meine Bewerbungen wieder mit der Hand schreiben.
Keinen Bock auf diesen
Terror.
Jetzt
müssen aber doch auch mal zwei Gemälde her. Meine Winterbilder. Schwarzweiß.
Das Tor, das andere heißt zerschellt. Eine endlose Meeresfläche. Es ist
stürmisch, es ist kalt. Darin eine zerschellte Meerjungfrau auf einem Stein,
der dort nichts verloren hat. Hochromantik.
Wache mit folgenden
Gedanken auf.
Besser melancholisch als
pessimistisch, besser ernst als traurig
Ich sehe das folgendermaßen. Wenn man die schöne Karte aus dem Tarot
nimmt, das Rad des Schicksals, dann bedeutet das ja, daß alles , was oben ist
irgendwannmal unten ist. Also, wenn wir jetzt bei den falschen Entscheidungen
sind, kippen wir irgendwannmal zu den richtigen. Wenn wir uns in eine Phase
exorbitant explodierende Riesenmenge an falschen Entscheidungen befinden, heißt
das ja nur, daß wir uns geradewegs wieder auf die richtigen Entscheidungen
zubewegen. Also definitiv ein Grund für Optimismus.
Man kann das auch sehr schön an einem Kuchendiagramm
sehen.
Diesmal bin ich mit Strindberg einer Meinung, daß ein
Verhältnis 1 zu 1 vielleicht zu
optimistisch ist. Er sagt natürlich, Nullkommanull richtige Entscheidungen.
Aber ich weiß ja inzwischen wie er tickt.
Jedenfalls. Ganz egal wie klein das Küchenstück ist,
es gibt in diesem Kuchen
ein Stück mit richtigen Entscheidungen.
Im Hintergrund wieder Grönemeyer.
„Ist schon okay.
Es tut gleichmäßig weh. Und der Mensch heißt Mensch, weil er erinnert, weil er
kämpft und weil er hofft und liebt, weil er mitfühlt und vergibt,
und weil er
lacht, und weil er lebt. Du fehlst.“
Ist das noch ein ready
made? Brauche diesmal handwerkliche Unterstützung.
Ich muß eine runde Platte
aus einem der alten Bettteile sägen. In der Mitte wird unterteilt. Links heute.
Rechts vorgestern.
Verliere mich in
Wortkonstruktionen mit dem Wort geil.
Geiz ist geil.
Geiz ist geil geil.
Geiz ist geil geiz geil.
Geil nach Sex.
Geil nach Dummheit.
Geilspaß.
Geil nach Nichts.
Geil nicht.
Rechts kommen die ganzen
Crucifixe hin, die ich gefunden habe.
Links ist alles geil.
Was war früher anders?
Größe?
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Die Natur muß
rein! Immer auch etwas Schönes.
Ein Pflänzchen,
das das Köpfchen hebt. Das rührt.
Dann aber auch
gleich wieder die knallharte Gesellschaftskritik.
Ein Pflanztopf.
Auf der einen Seite Schönblumen aus dem Hochglanzkatalog: zu grell zu bunt zu
wenig Natur. Auf der anderen Seite Brennnesseln.
Dazwischen ein
Plastikzaun auf Holz gemacht zum Stecken.
Titel: Hauptsache
abgegrenzt.
Die Brennnessel.
Inbegriff der deutschen Tugenden. Unbeugsam
genügsam fleißig.
Seit dem ich dich
kenne verteidigst du deine Plätze hier in diesem Garten mit unbeirrbarer
Beharrlichkeit. Gibst nicht nach. Liebst den Schatten.
Ich schenk sie
dir jetzt. Wachs einfach.
Ganz alte
Arzneipflanze. Zumindest das hätte ich anerkennen müssen!
Fühle, daß ich
sie zu lieben beginne.
Strindberg
gesteht mir, daß die Brennnessel seine Lieblingspflanze ist.
Mensch
Strindberg, sage ich, Du bist doch im Grunde ein Romantiker.
Er weint.
Vielleicht ist er
ja doch kein so übler Typ
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Arbeite jetzt mit
Strindberg zusammen.
Ich schneide rechteckige Stücke aus alten Tischdecken und
Bettgarnituren. Er schreibt No way out drauf. Hat sofort verstanden, worum es
ging. Malt das in Schwarz mit einem 1 A Künstlerpinsel mit formstabilen
Spezialhaaren in Acryl. Sowas gab es zu seiner Zeit nicht.
Kleben das nachher auf
eine antike Sauciere, legen den Saucenlöffel rein, darin der Rosenkranz meiner
Großmutter.
Stellen das auf das alte
Kochbuch und ein Buch über die Pflichten der Frau in der christlichen Ehe.
Wir nennen es: Keine gute
Zeit für wissbegierige Frauen.
Strindberg haut sich in
die Faust vor Vergnügen.
Dabei ist er voll
sexistisch.
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War jetzt in meinem riesigen
Garten. Bei meinem Nachbarn eine einzige Baustelle. Gehe an den gemeinsamen
Zaun, um zu fragen.
Er sagt, er macht jetzt
alles neu. Die Wege mit Waschbeton. Diesmal laß ich es einen Fachmann machen,
fügt er hinzu. Die akkurate einstige Rasenfläche, abgetragen, nur noch Erde.
Wird aber wieder mit Rasen bepflanzt. Er zeigt mit einer Geste auf alles, als
ginge sein Grundstück bis zum Horizont. Darin aber auch ganz klar Verzweiflung.
Er sagt, Hauptsache, alles ist gerade.
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Bin völlig konsterniert.
Erzähle das sofort
Strindberg.
Strindberg sagt, er wäre
immer gegen das Gerade gewesen. Genauer, gegen das so tun, als wäre alles
gerade, wo in Wirklichkeit alles ungerade ist. Er hätte mit seinen ungeraden
Schriften, die er viel gerader fand, gegen das Gerade im Ungeraden
angeschrieben.
Er müsse jetzt auch mal
etwas zu meinen Bemerkungen über ihn, seine unglückliche Ehen, seine Frauen und
seine Möbel sagen.
Er habe immer gesagt, das
Schiefe könne letztlich trotzdem völlig gerade sein.
Alle Möbel mit schiefen
Platten drauf. Die aber völlig gerade.
Er könne sich das auch gut
bei meinem Büffet vorstellen. So was ähnliches habe er auch gehabt.
Klar, sage ich, überall
alles schief, damit alles unwichtige gleich runterfällt. Nur etwas definitiv
gerade und da stehen dann die Weinflaschen drauf.
Könntest gleich damit
anfangen, sage ich. Bist aber leider kein ausgebildeter Schreiner.
Sehe, wie unglaublich
banal er meinen Kommentar findet.
Er redet nicht mehr mit
mir.
Ich rede auch nicht mehr
mit ihm.
Alles vorbei.
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Analysiere mit meiner
Angestellten aus Kasachstan, warum es nicht möglich ist,
mit einem Workaholic auf
längeres auszugehen und Spaß zu haben.
Stelle das grafisch dar.
Zeichne ein Knäuel, dann
lauter gerade Linien. Das Knäuel ist sie. Nächstes Treffen, nächstes Knäuel,
dann wieder viele gerade Linien, Kleines Knäuel, Telefonanruf. Gerade Linien.
Letzes Knäuel, Abschiedsknäuel, dann endlich nur noch gerade Linien.
Sie sieht schon rein
optisch, daß das nicht funktionieren kann.
Ist empört.
Malt das ganze Blatt mit
geraden Linien voll und das nächste auch.
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Versuche mit Strindberg zu
reden.
Wir wollen doch im Grunde
beide das Gleiche, sage ich.
Wir kämpfen doch beide mit
dem Ungeraden gegen das Gerade, das nicht wirklich gerade ist.
Wollen doch vielleicht
auch ein wenig durch das Ungerade das Ungerade im Geraden etwas gerader zu
machen.
Oder einfach nur, daß man
akzeptiert, daß nichts gerade ist.
Er greift wieder zum
Pinsel und malt am No way out weiter.
Völlige Versöhnung.
Ganz ohne Worte.
Er ist völlig versunken.
Was für ein sensibles
Profil er doch hat.
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Muß immer wieder über den
Aufschrei meines Nachbarn nachdenken.
Hauptsache, alles ist
gerade.
Überlege mir, was für ein
ready made ich dazu machen könnte, aber mir fällt nichts ein. Gar nichts.
Wenn ich
Architekturmodelle bauen könnte, vielleicht.
Gerades Haus. Gerader Weg.
Gerader Stamm mit Kugel drauf.
Aber das hat ja überhaupt
nichts mit Kunst zu tun.
Ich bin ja auch eher der
barocke Typ.
Also jetzt nicht von der
äußeren Erscheinung, im Grunde nicht mal von der inneren Einstellung.
Eigentlich mag ich den Barock gar nicht.
Vielleicht bin ich ja auch
einfach nur nicht abstrakt.
Wenn man mich vor die
Entscheidung stellen würde, Schnörkel ja oder nein. Ganz klar ja.
Strindberg sitzt mir
gegenüber an diesem riesigen Eßtisch, Kirschbaumfurnier, Biedermeier
nachgebaut, hört meinen Selbstreflektionen zu und macht sich Notizen. Ab und zu
steht er auf, macht eine Schranktüre auf oder eine Schublade und guckt rein,
was drin ist. So ganz selbstverständlich.
Er hat sich in der
Apotheke einen dunkelblauen Protzkugelschreiber von Nycomed ausgesucht. Ganz
der große Dramatiker.
Ich nehme immer was grad
rumliegt.
Schreibt jetzt mit diesem
Kugelschreiber von Nycomed, dem Originalhersteller von Pantoprazol, auf einen
Block des Generikaherstellers Hennig mit Werbung für Pantoprazol.
Ist das der berüchtigte
Kreis, der sich immer wieder schließt?
Wegen des Blocks habe ich
die Vertreterin von Hennig angerufen. Habe ihr gesagt, daß ich an einem
Kunstprojekt arbeite und ihre Blocks wären ideal.
Da haben die mir sofort
100 Stück geschickt, aber es sind die Falschen.
Muß sie das nächste Mal
darauf ansprechen.
Ich habe mir trotzdem
einen Stapel mit nach oben genommen.
Strindberg hat sich auch
einfach einen Stapel genommen.
Jetzt machen wir beide
Notizen auf den gleichen Blocks. Nur der Kugelschreiber ist unterschiedlich.
Ich habe kein wirklich
gutes Gefühl dabei.
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Mir ist dann doch noch der
Kragen geplatzt.
Habe Strindberg gesagt,
was ich von seiner ganzen ich ich und dann wieder ich und nochmal ich und dann
ich, dann lange nichts und dann wieder ich ich ich Einstellung halte.
Einfach die Blocks nehmen
und überall reingucken. Einfach so.
Aber ich ich kann das
natürlich. Weil die Welt mir ja alles schuldet.
Diese ganze egomanische
egozentrische egoistische selbstverliebte nur ich bin wichtig Manie.
Nur mein Kram ist wichtig.
Nur meine Befindlichkeit
ist wichtig.
Immer nur ich ich ich.
Dann natürlich immer nur
die ganz große Kelle.
Immer nur das
Riesengewissen, der ganz große Moralische in Kampf gegen alle Institutionen.
Und selber im Behandeln anderer kein Deut anders sein.
Voll daneben!
Aber selbstverständlich
macht man immer alles richtig. Ist wahrscheinlich genetisch. So ein Glück aber
auch!
Bin wirklich außer mir.
Das einzige, was mich bei
der ganzen Sache irritiert, ist, daß er die ganze Zeit mitschreibt wie ein
Blöder.
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Heute kommt der Pole.
Wir bauen Rabatte im
Garten.
Beginnen mit was nicht
richtig rundem, geschnitten von was runderem.
Der Pole will rund
weiterbauen, aber jetzt wollen wir Frauen was Rechteckiges. Das Rechteckige
wollen wir aber nicht gerade.
Und die eine Ecke muß auch
weg, weil zu männlich.
Dann geht es wieder rund
weiter, dann wieder eckig oder eben nicht.
Alles wie es kommt.
Der Pole beginnt zu
verstehen.
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Schriftsteller sind immer
auf Recherche.
Einmal nicht aufgepaßt und
schon ist man literarisch verarbeitet.
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Oben auf der
zugegebenermaßen sehr schönen Tischdecke (Typ, 3000 Stunden nadeln bei
schlechtem Licht) steht eine Jugendstilsuppenschüssel (Typ, auch Altes kann
häßlich sein). Drinnen liegt das Inflationsgeld von damals.
Darin eine alte
Suppenkelle. Klar, habe ja nichts anderes.
Die halbe momentane
Staatsverschuldung steht da auf dem Tisch.
Strindberg schaut mich
erwartungsvoll an.
Ich nenne das Ganze: Ist
soviel Geld wirklich geil?
Er nickt.
Haben wir jetzt die Rollen
getauscht?
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In meinem Kopf völlige
Unordnung.
Zuviel Notizen zuviel
ready mades.
Verliere langsam die
Orientierung.
Muß wieder malen
Einfach nur malen. Bilder.
Wie früher.
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In meinem Atelier steht
Strindberg.
Er hat mit sicherer Hand
meine teuersten Pigmente zu Spachtelmasse angerührt.
Erstaunlich, daß er das
kann.
Spachtelt seelenruhig auf
der Leinwand weiter.
Gar nicht schlecht, was er
da macht.
Seelenzustände 1 zu 1
übertragen. Meinen Respekt!
Sitzen später gemeinsam
auf dem Sofa und klotzen sein Bild an.
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Vom Fenster ganz oben sehen die Rabatte wie eine keltische
Ausgrabungsstelle aus.
Bin
begeistert.
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Strindberg steht in meiner
Küche und besprüht meine Setzlinge mit meiner Sprühflasche.
Ich sehe jetzt auch, daß
er auch den dritten Setzkasten gefunden und ihn dazu gestellt hat, ohne zu
fragen.
Bepflanzt hat er ihn
offensichtlich auch. Keine Frage.
Finde ein leeres Tütchen
mit Artischockensamen auf der Spüle.
Offensichtlich hat er also
auch meine Gemüsesamensammlung gefunden und sich in aller Ruhe das ausgesucht
und genommen, was ihm am besten gefällt, ohne zu fragen.
Habe das unbestimmte
Gefühl, daß meine ich ich Orgie genau das Gegenteil bewirkt hat.
Das Strindberg jetzt
nämlich weiß, wer er ist und wie er sein möchte.
Nämlich genau so wie ich
ihn beschrieben habe.
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Schrecksekunde für
Strindberg.
Ist ins Atelier gekommen
und sieht, daß ich sein Bild übermalt habe.
Ja, sage ich, es gab einen
übermalten de Kooning. Jetzt gibt es eben auch einen übermalten Strindberg. Und
zwar von mir. Ohne zu fragen.
Völlig fertig der Typ.
Sowas habe ich noch nicht
gesehen.
Sage ihm, daß ich sein
Bild nur kopiert und die Kopie übermalt habe.
Das sieht er jetzt auch.
Hat aber nicht die Kraft, sich vom Sofa zu erheben, auf dem er zusammengesackt ist.
Völlig durch den Wind!
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Muß Strindberg nächstes
Mal unbedingt zur Post mitnehmen.
Vielleicht heitert ihn das
ein wenig auf.
Die neue Reklamelinie der Post schreibt nämlich alle
-ig Endungen in "-ich" Endungen um.
"Spaßig" wird zu "Spaß-
ich", "Mächtig" wird zu "mächt-ich" und
"Goldig" zu "gold-ich", "erstrangig" zu
erstrang-ich", "hochrangig" zu hochrang-ich",
"großzügig zu großzüg-ich".
So viele Ichs. Vielleicht lächelt er dann mal
wieder.
Voll in der Krise seit der Sache mit dem Bild.
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Habe jetzt Strindberg ganz
offiziell für heute Abend auf ein Glas
Wein in meine Küche eingeladen. Ich muß was gegen diese Leidensmiene tun.
Wir sitzen am Küchentisch.
Der ist noch original mit grünem Linoleum bezogen. Teile ausgerissen oder
eingerissen. Und die Holzplatte darunter hat wohl auch schon Sprünge. Würde da
nie eine Tischdecke darauf legen. So inspirierend!
Erzähle das Strindberg,
aber er verzieht keine Miene.
Nippelt an seinem Glas wie
ein Häufchen Elend.
Ich versuche ihn
aufzubauen.
Sage, Strindberg, Du hast
so viele Ichs und alle sind sie so toll! Du müßtest doch total glücklich sein!
Nichts.
Versuche ihn an die große
Kelle zu erinnern und spiele ihm die pathetischsten Stellen von Wagner vor.
Höre auf bevor er mir den
Tisch vollrotzt.
Greife zu cubanischer
Musik. Lebensfreude pur.
Nichts.
Greife jetzt zu meiner
letzten aber größten Waffe und spiele ihm Grönemeyer vor.
Bei „Deine Liebe klebt“
huscht ein Lächeln über sein Gesicht.
Mach mit „Bochum“ weiter.
Ein Volltreffer!
Ich besprühe spontan seine
Artischockensetzlinge.
Er besprüht meine
Setzlinge. Besprühen dann auch mal alle zusammen.
Besprühen uns gegenseitig.
Sprühen auch mal in die Luft. Einfach so.
Der Boden ist schon
klitschnaß.
Singen dazu laut
Grönemeyer:
„Du bist keine Schönheit
vor Arbeit ganz grau
du liebst dich ohne Schminke
bist 'ne ehrliche Haut…
Du bist keine Weltstadt
auf deiner Königsallee
finden keine Modenschau'n statt
hier, wo das Herz noch zählt,
nicht das große Geld“
Ich kenn Bochum nicht. Er
kennt Bochum auch nicht.
Aber wir wissen genau,
worum es geht.
Drücke immer wieder die
Wiederholungstaste.
Dann macht das Strindberg.
Hat sofort verstanden, wie das geht. Ganz ohne zu fragen. Nicht umsonst einer
der Großen seiner Zeit.
Was für ein Abend!
Ganz ganz große Klasse.
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Haben heute zusammen im
Atelier gemalt. Jeder für sich. Ab und zu mal rübergeguckt, was der andere
macht. Gar nicht böse.
Ich habe ihm meine Farben
überlassen. Ich male ja nur noch in Schwarzweiß.
Er spachtelt. Ich pinsle.
Ganz harmonisch. Ganz ohne Neid.
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Strindberg
hat mir ein Gedicht geschenkt.
Danke überschwänglich.
Schau dann auf das Blatt.
Versteh kein Wort.
Ich kann kein Schwedisch.
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Ich mache jetzt auch ein
Gedicht.
Habe meine Einkaufsliste
auf Spanisch übersetzt.
Das ganze optisch ein
wenig aufgepeppt.
Gedankenstriche.
Dann auch Absätze machen
und ein Wort ganz alleine stehen lassen.
Entscheide mich für
Azucar. Mach zwei Ausrufezeichen dahinter.
Sieht so kriegerisch aus.
Laß dann noch einen
Zweizeiler folgen.
Unberechenbar. Bestätigung
oder doch eher Ernüchterung und resignatives Ende?
Schenk das Ganze
Strindberg.
Das ist mir jetzt auch
egal, ob er Spanisch kann.
Dann ist das eben die
Poesie auch im Kleinen sehen.
Meine seltene aber
begehrte Einkaufslistenlyrik.
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Habe mir jetzt einen Platz
ausgesucht, an dem mir Strindberg noch nicht über den Weg gelaufen ist.
Sitze in meiner riesigen
Loggia und guck auf meinen riesigen Garten mit der keltischen Ausgrabungsstelle
im Hintergrund.
Denke über große Gärten
mit kleinen Früchten nach.
20 Meter Himbeeren, aber
nur Minifrüchte und davon auch nicht viel.
Eine Goldparmäne. 25 Jahre
alt, kniehoch, Früchte kirschgroß.
Der Golden Delicious,
genauso alt, immerhin 2 Meter, Früchte klein.
Der Apfelbaum, der am
größten ist, verzichtet gleich ganz aufs Früchte tragen.
Der Boskoop hat zwar große
Früchte, fallen aber runter bevor sie groß sind.
Quitte mit kleinen
Früchten.
Mirabelle mit kleinen
Früchten.
Nußbäume drei. Früchte
klein.
Komme ins Philosophieren.
Denke über meine 2:1
Theorie nach.
Die besagt, wenn man sich
3x mit einem Mann trifft, ersten 2 Male toll, drittes Mal Katastrophe.
Habe schon alles gemacht,
um dem zu entgehen.
Abend bis in den Morgen
verlängert. Morgen als 3tes Mal angesehen.
Gleich beendet, um wieder
bei 1 zu sein.
Hat nichts genützt. Egal
welche Tricks.
3tes Mal Katastrophe.
Wie ein Naturgesetz.
Irgendwannmal nach soviel
Katastrophe natürlich nur noch Katastrophe.
Vielleicht noch mal aus
Versehen ein netter Abend.
Wie es ja auch verirrte
Blumen gibt. Die einsam und allein im Schnee blühen, als wäre es noch Sommer.
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Habe gerade auf den Stuhl
neben mir geguckt. Und was guckt mich an?
Ein ready made.
Titel: Zuviel sitzen ist
ungesund für den Stuhl.
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Vielleicht gibt es ja auch
eine ganz einfache Erklärung für dieses 2 zu 1 Prinzip.
Ich meine, man muß sich
wirklich mal klar machen, was für ein unglaublicher Zeitfresser dieses Verliebt
sein ist.
Was könnte man in dieser
Zeit nicht alles machen!
Die Bodenschätze der
Arktis heben.
Brücken bauen Hochhäuser.
Alles wieder abreißen und
neu bauen.
Konflikte lösen.
Gelöste Konflikte wieder
in Konflikte umwandeln.
Große Politik, z.B. auch
wahnsinnig viel Geld verdienen.
Teure Autos kaufen.
Und statt dessen?
Sehnsucht haben. Sich
Worte, die der andere gesagt hat, wieder ins Gedächtnis holen. Gesten, wie er
gelächelt hat. Stundenlanges vor sich hin träumen und dabei debil vor sich hin
lächeln.
Vielleicht auch Verluste
durch nicht mehr zugehört haben, weil mit den Gedanken ganz woanders.
Aber ist das produktiv?
Aber was hat Mann jetzt
faktisch und sichtbar geleistet?
Wo die Welt verändert?
Klar, daß das einen Mann
irritiert, daß er de facto gar nichts leistet.
So wird natürlich alles
klar und logisch.
Dann doch lieber große
Artikel schreiben oder z.B. Gesetze verabschieden.
Das eigentliche Problem.
Wir Frauen sind einfach zu
zeitaufwendig.
1 Stunde verliebt sein,
reden, küssen, dann ab in die Kiste und danach sofort schlafen, um fit zu sein
für den 400 Stunden Job. Oder sofort aufspringen mit 3 handies telefonieren,
zum Wagen rennen, zu Terminen fahren, Besprechungen, wichtige Entscheidungen
treffen, e-mails beantworten, alle wichtig, Golf Tennis.
Höre ein Geräusch.
Hinter mir steht
Strindberg.
Er hat offensichtlich die
ganze Zeit mitgelesen.
Sagt, er hätte sich gerne
Notizen zu meinen Notizen gemacht, hätte aber befürchtet , daß das Geräusch meinen Schreibfluß
unterbrochen hätte.
Fragt mich jetzt, ob er
kurz mal meine Notizen haben könnte für seine Notizen.
Ich stehe wortlos auf und
laß ihn stehen.
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Habe mich jetzt in der
Apotheke eingeschlossen. Sitze ganz allein in meinem Büro. Hier bin ich jetzt
ganz ungestört.
Denn es kommt gleich ein
ganz wichtiges Thema.
Vielleicht das wichtigste
überhaupt.
Die Beziehung zwischen Kunst und Liebe.
....